Jakob Friedrich Reiff:

Der Anfang der Philosophie

mit einer Grundlegung der Encyclopädie

der philosophischen Wissenschaften

 

Stuttgart: Liesching, 1840

 

  

Vorrede

Das Interesse für die Philosophie hat in unserer Zeit, die Grenzen der bloßen Schule überschreitend, so sehr an Allgemeinheit gewonnen, daß eine philosophische Schrift, welche der gesammten Philosophie eine neue Grundlage zu geben sucht, schon darum die Aufmerksamkeit einer größeren Anzahl auf sich zieht, und zugleich eher auf unpartheiische Richter hoffen darf, als in Zeiten, wo die Philosophie nur der Schule angehört. Ist zudem die Schule selbst mit sich entzweit, so entsteht in ihr selbst ein freieres Verhältnis zum geltenden Systeme, und somit auch eine größere Geneigtheit, ein Buch unbefangen zu beurtheilen, welches von der herrschenden Philosophie wesentlich abweicht. Insofern wird die Schrift, welche ich hiemit dem Publikum vorlege, eine geneigte Aufmerksamkeit sich versprechen dürfen. Ich hatte, als ich den Plan zu derselben entworfen, zunächst den Zweck, den Anfang der Philosophie sicher zu stellen, denn es ist natürlich, daß, wenn die Aufgabe der Philosophie auf eine abweichende Art gelöst werden soll, sie vor allen Dingen anfangen und eine sichere Grundlage der Lösung ihrer Aufgabe sich geben muß. Sodann wollte ich in mehr oder minder allgemeinen Umrissen zeigen, wie von diesem Anfange aus das System selbst in seiner Gliederung sich bilden müsse. Hieraus entstand eine Grundlegung der Encyclopädie der phi- [IV] losophischen Wissenschaften, welche eine Uebersicht über den Organismus der Philosophie und dessen einzelne Theile gewährt; die ganze Natur und Bedeutung des Anfangs konnte erst durch seine Entwicklung und Vollendung im Ganzen deutlich werden. Einzelne Wissenschaften, welche dem Kreise meiner Studien bisher mehr fern lagen, oder hier blos die Angabe ihrer Stellung im Ganzen zu fordern schienen, sind hiebei kürzer behandelt worden; an eine bloße Grundlegung der Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften kann billigerweise blos die Forderung gemacht werden, daß das bestimmte Verhältnis der einzelnen Wissenschaften zum Ganzen angegeben werde; ich habe bei der Philosophie der Natur und der Logik auf die Billigkeit dieser Forderung gerechnet, in den andern habe ich Weiteres zu leisten versucht.

Man hat in neuerer Zeit schon verschiedne Versuche, wie man’s nennt, neue Systeme der Philosophie zu errichten, gesehen. Allein sie waren nur Correctionen des geltenden Systems, denen immerhin eine allgemeine Tendenz zu Grunde lag, ohne daß sie jedoch über die bloße Tendenz hinausgekommen wären. Wenn ich nicht irre, sind es hauptsächlich zwei Tendenzen, welche mit dem herrschenden Systeme entzweiten: die Tendenz der Anschauung, und die der Persönlichkeit. Beide treten nicht vereinzelt auf, sondern immer mit einander, aber doch sind sie verschieden, und haben verschiedne Repräsentanten. Sie sind innerhalb der Schule sich sehr schroff entgegengesetzt; außerhalb derselben streben sie zusammen. Der aufmerksame Leser wird in dem Buche, das ich ihm vorlege, leicht finden, daß ich mit diesen Tendenzen vollkommen einverstanden bin. Aber ich fordere, dieselben in ihrem schroffsten Gegensaze zu denken, das Ich als vollkommen reflectirt, und die Aufhebung dieser Reflexion, die [V] Anschauung, scharf zu scheiden, wenn die wahre Einheit beider erreicht werden soll. Wie leicht machen es sich diejenigen, welche über Hegel hinausgegangen sind, beide Elemente zu vereinigen! Sie fordern die absolute Persönlichkeit und die Anschauung mit Recht, aber es kostet ihnen nicht viel Mühe, die Identität beider zu behaupten. Darum bleibt ihr System eine bloße Tendenz; ihre Tendenz würde nur dann ein System und könnte sich in einer Entwicklung ausbreiten, wenn sie den Gegensaz dieser Elemente faßten, auf den Ursprung desselben zurückgingen, und dann die Reduction des Gegensazes zur Einheit nachwiesen. Wenn sie dem Hegel’schen Systeme zum Vorwurfe machen, daß die Persönlichkeit und die Anschauung in ihm nicht zu ihrem Rechte komme, so kehrt sich dieser Vorwurf gegen sie selbst; denn beide kommen nur dann zu ihrem Rechte, wenn sie vor allen Dingen so scharf als möglich geschieden werden. Der Mangel dieser Scheidung ist der gemeinsame Fehler des Systems und der Tendenzen, die über das System hinausstreben. Aber in der That hat das System hierin einen entschiednen Vorzug; der Geist, um sich zu wissen, um Geist zu sein, entwickelt sich in ihm, diese Entwicklung enthält es unmittelbar, daß der Geist sein Selbstbewußtsein erst durch Aufhebung eines Gegensazes sich erschaffen muß. Diesen nothwendigen Prozeß leugnen diejenigen, welche das System zu corrigiren unternommen haben, damit haben sie die Möglichkeit des Systems selbst aufgehoben. – Hiemit hängt ein weiterer Fehler dieser Tendenzen zusammen, durch welchen sie namentlich bei der Religiosität der Zeit großen Eingang gefunden haben. Die absolute Persönlichkeit ist nach der Ansicht dieser Philosophen unmittelbar fertig; es gefällt ihr zwar, sich der Anschauung der Menschen preiszugeben, und in [VI] der Entwicklung der Welt sich darzustellen, ohne daß man weiß, warum es ihr so gefällt, aber sie selbst ist das alles auf ein Mal jenseits der Welt. Ohne Zweifel ist die absolute Persönlichkeit nicht möglich, ohne die Momente ihrer Entwicklung zum Zumal zusammen zu fassen; die Ichheit ist gerade der feste, ruhige Pol im vollkommnen Wechsel ihrer Elemente. Aber sie tritt damit in ein Verhältniß zum Object, und bildet sich erst durch dieses Verhältniß in einer sehr ausgedehnten Entwicklungsreihe zur absoluten Persönlichkeit, und diese selbst steht nothwendig in einem Verhältnis zur Welt, in welchem ihr das Prädikat der Gottheit unmöglich zukommen kann. Denn sie bedarf des Objects, um ihrer selbst bewußt zu sein, und indem sie dabei zugleich in ihr selbst das Band des Selbstbewußtseins knüpft, ist sie schlechthin hinaus über sich und das Object, und in diesem Hinaussein der absoluten Persönlichkeit über sich und das Object erst ist der wahrhaftige Gott.

Was kann uns berechtigen, über uns hinauszugehen und ein Reales ausser und über unserem Selbstbewußtsein anzunehmen? diese Frage – seit Kant die Frage der Philosophie – wird durch die Lehre von einer in sich beschlossnen, in sich fertigen Persönlichkeit abgeschnitten, hier ist keine Ahnung jenes Widerspruchs im Begriffe des Ich vorhanden, aus welchem jene eigenthümlich philosophische Frage hervorgegangen ist. Ich finde nicht, daß jene Lehre einen Beweis der Transcendenz ihrer Persönlichkeit gegeben hat, aber das weiß ich, daß der Begriff dieser Persönlichkeit gerade darum falsch ist, weil sie über den Menschen hinausgedacht wird. Um den wahren Begriff der Persönlichkeit zu gewinnen, müssen wir sie im Menschen festhalten. Hier deckt sich uns die Nothwendigkeit auf, ihre Elemente, die Reflexion in [VII] sich, und die Anschauung, in welcher diese Reflexion als aufgehobne ist, bestimmt zu scheiden; und hiemit eröffnet sich vor uns das Drama des Selbstbewußtseins, dessen tragische Natur uns nicht abhalten darf, in es einzugehen, weil wir sicher hoffen dürfen, daß es seine Widersprüche zur Versöhnung überwinden werde. Sind wir einmal dazu gekommen, das Selbstbewußtsein in uns als absolutes festzuhalten, ohne es irgendwie an ein Jenseits entschlüpfen zu lassen, dann erst wird jene Tendenz der Persönlichkeit und der Anschauung uns in ihrer ganzen Bedeutung erscheinen, die Schärfe ihres Gegensazes wird heraustreten, und die Hoffnung einer neuen, wahren Versöhnung derselben wird sich uns bilden. Und dann erst werden wir auch mit vollkommner Sicherheit eine transcendente Realität aufstellen können. 

Jene Lehre von einer in sich fertigen, vollendeten, harmonischen Persönlichkeit , welche an die Spitze der Welt gestellt wird, kann das Zeichen eines glücklichen Geistes der Zeit scheinen, denn der menschliche Geist feiert darin nur die Apotheose der Form, welche sein eigenes Selbstbewußtsein errichtet hat. Aber dieses glückliche Zeichen verkehrt sich in ein sehr unglückliches, sobald man die Voreiligkeit bemerkt, mit welcher diese harmonische Einheit behauptet wird, sobald man einsieht, daß die in ihrer Unterscheidung zu Bewußtsein gekommnen Elemente des Ich auch wirklich ihre Scheidung fordern. Die Schärfe dieser Scheidung weist auf eine Revolution des Selbstbewußtseins hin, welche entscheidender und erschütternder als alle bisherigen eine völlige Umgestaltung desselben zur Folge haben muß. Die Lehre von einem absoluten Geiste, von einer absoluten Persönlichkeit (welche mit er ersten genau zusammen hängt), stellt einen Begriff des Ich auf, das als selbstbewußtes Alles in sich [VIII] schließt,das kein inneres Bedürfnis hat, sich für eine Realität ausser ihm, als seinem Leben, sich zu öffnen, und daher in sich befriedigt sich selbst als alle Realität genießt. Wir dürften uns glücklich schäzen, einen so hohen Begriff des Selbstbewußtseins erreicht zu haben, wenn nicht gerade dieser Reichtum – die baare nackte Armuth wäre. Mitten in solchem Reichthum ergreift den Geist das unglückselige Gefühl einer innern, realitätslosen Leerheit; statt daß er selbst in sich alles Leben wäre, ist er gerade darum, weil er es in sich sein will, weil er in sich alles Leben absorbiert, nur das Grab aller Realität und alles Lebens. Denn in dem Wechselspiel seines Lebens, aus sich hinauszugehen und in sich zurückzukehren, sich zu öffnen und sich zu schließen, ist es das lezte Element, welches er festhält; aber damit ist nur der Wechsel sistirt, und das andere Element, in welchem der Geist nach aussen sich öffnet, um draussen sein Leben zu finden, ebenso festgehalten. So kommt es dem Geiste zu Bewußtsein, daß er in seiner Rückkehr in sich, weil er in ihr aus sich hinaus, hier die Realität zu finden, getrieben ist, alle Realität begraben hat. An die Stelle der reinen Befriedigung seiner selbst mit sich tritt das Gefühl eines Drangs nach Realität ausser ihm, ein Hunger und Durst nach Leben, dessen Mangel er in sich fühlt; „Dasein, Dasein! Ruf es in ihm; er will Lieber in die Arme der Welt, als in die Arme des Todes stürzen.“ Die in sich fertige, vollendete Persönlichkeit ist die heftigste, ruhelose Sehnsucht nach einer Realität ausser ihr geworden; sie hat ihren Haltpunkt in sich verloren; aus dem reinen Denken sind wir herausgetrieben, wir fordern eine Anschauung, eine wirkliche Realität, an die wir unser Selbst befestigen können. Das Selbstbewußtsein ist in sich vernichtet, draussen ist sein Leben; wir wollen eine wahre Wirklichkeit ohne Täu- [IX] schung, um in ihr unser Leben und unsere Versöhnung zu haben. – Ihr habt dem Geiste, um ihn zu verherrlichen, alle Realität geopfert, aber auf seinen Trümmern habt ihr ihm seinen einsamen Thron erbaut, und seine Geschichte, seine Gegenwart zu einer Ruine gemacht, in der er trauernd wandelt, der Schatten eines gewesnen, reichen Lebens. Für euch ist die Natur nur der Abfall des Geistes von sich selbst, seine Knechtsgestalt, hinter welcher er seine göttliche Majestät verbirgt; aber diese Majestät ist nur eine glänzende Armuth. Gebt ihm eine Anschauung, die Anschauung der Natur, des Universums, er wird wieder aus dem Grabe, in das er alles Leben versenkt hat, auferstehen und Leben und volle Genüge haben. Dann erst ruht er aus von dem innern Leiden der Sehnsucht, das ihm entstand, als er alle Realität ausser ihm von sich gewiesen hatte, und sich vermaß, an ihm selbst alles Leben zu haben. Aber es war die reine Rückkehr in sich selbst, das reine Erfassen seiner selbst, als Hinaus über das, was da ist, wodurch der Geist bestimmt wurde, sich ganz nach aussen zu öffnen und aufzugehen in der Anschauung des Göttlichen, das ihm ausser ihm erscheint. Darum weiß er seine Hingebung als seine That, seine Kraft hat er in seinem Leiden; es ist die Fülle seines Innern, die ihm die Anschauung hat entgegentreten lassen, und er kennt keinen Gott, der ihn zum bloßen Leiden verurtheilte. Sein Idealismus, der er war, ehe die Welt war, und aus welchem die Welt entsprang, ist sein Selbstbewußtsein geworden, seine ursprüngliche schöpferische Kraft, welche am Anfange in ihrem Werke, der Welt, verloren gehend fort und fort an ihm schuf und wirkte, um sich wieder zu erreichen, ist zum Tag des absoluten Selbstbewußtseins hervorgebrochen, in welchem der Geist sich erinnert, nur sein Werk im Angeschauten zu erblicken, und daher gewiß ist, sich selbst in ihm wieder zu finden, aber auch [X] als Hinaus über das Angeschaute seine reine Kraft in seinem Gotte zu haben. – Hier erst haben wir eine Einheit, eine Harmonie des Selbstbewußtseins, welche den Gegensaz nicht ignoriert und über ihn hinwegeilt, sondern ihn überwindet. In der That, wollen wir jene reine Harmonie erreichen, es wird uns nicht gegönnt sein, so leichthin, wie im Genusse, sie zu erhaschen, sondern wir werden sie nur von der vollständigen Disharmonie aus erreichen können. Die Versöhnung des Geistes muß freie That sein, sie wird ihm nicht geschenkt. Aber ist sie nur als seine That, dann muß er die Kraft und den Muth haben in den völligen Verlust seiner selbst einzugehen, die Schauer dieses Verlustes nicht zu scheuen, und aus ihm sich wiederherzustellen. Doch was rede ich hier von Forderungen? die eigne unwiderstehliche Nothwendigkeit des Selbstbewußtseins zieht es hinab in die Tiefe des reinen Verlustes seiner selbst, und in seiner Natur liegt es, daß es aus der reinen Erniedrigung dieses Verlustes seiner selbst heraus sich frei in seiner reinen, ganzen Hoheit, wie eine neue Welt, erhebt. „Nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet.“

In der Tiefe dieses Gegensazes entspringt erst die wahre Philosophie. Sie nimmt die alte Schuld, die auf dem Menschengeiste lastet, seit er die erste Unschuld seines Lebens verscherzt, die Schuld der Entfremdung von seinem Objecte in der ganzen Schärfe ihrer Entzweiung auf sich, um sie zu tilgen. Sie macht daher Ernst mit der großen Frage, wie wir dazu kommen, ein Reales, das ausser und über unserem Selbstbewußtsein liegt, zu wissen; aber sie ist auch von der Tiefe dieses Gegensazes [XI] aus im Stande, die Lösung dieser Frage zu geben. – Haben wir das menschliche Bewußtsein als das absolute gefaßt, dann freilich scheint es, wir haben uns gleich von vornherein entschlossen, nichts jenseits oder diesseits desselben anzuerkennen, und es uns unmöglich gemacht, ein solches Reales zu finden. Allein es scheint nur so. Vielmehr erreichen wir erst von diesem Begriffe aus eine wahre und wirkliche Realität. Erst durch die bestimmte Abweisung einer vorausgesezten Realität gelangen wir zur wahren jenseitigen und diesseitigen Realität, und sind im Stande, mit vollständiger Sicherheit ein absolutes Prius der Welt aufzustellen, welches bisher immer blos behauptet wurde, mit einer genauen Einsicht in seine Bestimmungen, in seinen Anfang und seine Entwicklung; wir wissen, daß die diesseitige Realität der Schöpfung ihrem wahren Begriffe nach die Entwicklung jenes Prius zum absoluten Resultate ist, und gewinnen eben damit einen sichern Begriff eines absoluten Jenseits, der als Resultat der Welt schlechthin über sie, somit auch über uns hinaus ist. – Durch die practische Vernunft gelangte Kant zum Dasein Gottes; der einzige Fehler, den er machte, war, daß er diesen entscheidenden Gedanken einer praktischen Begründung der Realität Gottes nicht rein festgehalten, sondern eben nur die theoretische Annahme des Daseins Gottes für ein Bedürfniß der praktischen Vernunft genommen hat; daher war es den kantischen Theologen leicht möglich, ein gleiches Bedürfniß in der theoretischen Vernunft zu finden. Allein die Existenz Gottes im absoluten Sinne ist keine theoretische Annahme, ihre Gewißheit ist ganz in das praktische Ich eingeschlossen. Halten wir diesen Begriff fest, dann folgt auch aus der Gewißheit der Realität Gottes die Gewißheit der Realität der Welt, und nicht blos die Gewiß- [XII] heit ihrer Existenz, sonden die Einsicht in das, was sie ist, und die Einsicht in ihr absolutes Prius. Denn Ich als absolutes Sollen scheint uns zwar nur schlechthin hinauszuheben über das was da ist; aber man hat, indem man gegen das Sollen spröde that, nicht daran gedacht, daß wir durch es zur ganzen Fülle der Anschauung dessen, was da ist, gelangen, daß wir damit den ganzen Prozeß unseres Selbstbewußtseins objectiv als den Prozeß der Welt wissen, und so mit Sicherheit ihr Prius, den Gang ihrer Entwicklung, und ihr Resultat aufzustellen im Stande sind.

Die Philosophie darf von den Forderungen des Gemüths nicht unterjocht werden, aber sie darf ihnen auch nicht widersprechen. Das Gemüth hat keinen Werth, wenn es die scharfe Critik des Verstandes nicht auszuhalten im Stande ist; und ohne Zweifel kann das Gemüth so gut irren, wie der Verstand, aber es ist noch hartnäckiger in der Festhaltung des Irrthums, als der Verstand, sein Irrthum wird leichter zur Gewohnheit, zu einem Liebling des Herzens, als der Irrthum des Verstandes, weil es leicht in Eine Vorstellung, in welche viele ununterschieden zusammengehen, sich vertieft, ohne die Unterschiede zu fixieren, das Denken aber durch den Reichthum und die Mannigfaltigkeit seiner Thätigkeit von selbst zur Scheidung der Vorstellungen und somit zur Erkenntniß des Irrthums geführt wird. – Was nennen wir Gemüth? Ist es nicht jene gänzliche Concentration in uns selbst, in welcher wir von uns selbst aus ganz offen sind nach aussen? – Die Empfindungen des Gemüths sind nicht blos so flüchtige Bewegungen, die unserer Seele von aussen her angehaucht sind, ohne in ihre Tiefe zu reichen und diese zu offenbaren. Vielmehr drücken wir in denselben unser ganzes Ich aus; was uns von aussen anregt, das verweben wir zuerst mit dem Inner- [XIII] sten unsrer Seele, und aus diesem heraus erst erhebt sich die Bestimmtheit des Gefühls, als eine Gestalt, in welcher unser Wesen mit dem Wesen des Gegenstandes aufs Innigste verschmolzen ist. Diese Innerlichkeit des Gemüths ist es aber auch, durch welche wir uns über uns selbst und die Welt hinausgetragen wissen; sie weckt in uns die Ahnung eines unendlich Höhern und Bessern, als wir selbst sind und vor uns haben. In dieser Ahnung und der Sehnsucht, welche sie uns aufregt, sind wir aus unserer innersten Tiefe heraus schlechthin offen für ein höheres über und ausser uns. Aber hier mitten in der Wahrheit beginnt der Irrthum des Gemüths; hier zerfließt es in eine Bewegung, welche wir zum Stehen bringen müssen, um zur Wahrheit zu kommen. Jene Sehnsucht geht hinaus über die Welt, geht in sich zurück, und öffnet sich einer Realität, die sie festzuhalten strebt, um in ihr auszuruhen. Aber sie geht dabei nicht bloß über die Welt hinaus, sondern auch über dieses Höhere; denn das freie, ganze Offensein der Hingebung an dieses entspringt immerfort aus der reinsten Einkehr in sich selbst, diese ist daher nicht blos gegen die Welt, sondern gegen das Höhere selbst gerichtet. Daher geht das Gemüth auch über dieses hinaus, um sich ihm wieder zu öffnen, und rückt so den Gegenstand in eine immer größere Entfernung von sich hinaus, steigt immer von einem Höheren zu einem noch Höheren, ohne das Höchste selbst zu erreichen. Hier, sage ich, liegt der Irrthum des Gemüths; es sieht nicht, daß das Höchste, das es zu haben glaubt, nur ein immer Höheres und Höheres ist, daß es dasselbe immer wieder erniedrigt, um über es hinauszugehen, daß es in der That nur im Wechselspiel des Hinausgehens (der Reflexion in sich) und des Sichöffnens (der aufgehobnen Reflexion) begriffen ist, ohne ein Festes, Ruhendes in diesem Wechsel zu besizen. In dem reinen Hinausgehen über das, was da [XIV] ist, zugleich und in Einem sich nach aussen zu öffnen, so daß Ich in Einem demselben sich öffnet, über welches es hinausgeht, das ist die Wahrheit, welche im Gemüth liegt; sie ist das Höchste, welches ich im vorliegenden Buche darzustellen versucht habe; so entsteht eine Philosophie, welche das Gemüth achtet, von ihm durchwärmt und beseelt ist, aber auch seine dunkle Tiefe zum reinen Lichte des Gedankens erhebt. Was wir immer nur jenseits gesucht haben, es liegt vor uns in der Anschauung des Universums, welche aus unsrer eignen Tiefe entsprungen; aber wir haben diese Anschauung nur, indem wir in der reinen Kraft des Sollens über sie hinausgehen in ein Jenseits, dessen Realität unsere und der Welt absolute Forderung ist. So erscheint dem unbefangnen Gemüthe, wenn es vom Jenseits, zu dem es sich erhoben, zum Diesseits zurückkehrt, die Welt in einem höhern, schönern Glanze, und eine wohlthuende Versöhnung dringt von allen Seiten in es ein, und durchströmt all sein Sinnen und Fühlen, oder so entsteht uns, wenn wir aus dem auf uns lastenden Druck der Welt heraus uns über sie erhoben haben, die Ahnung und Gewißheit einer Freiheit, welche im Drucke dieser Nothwendigkeit herrscht, und wir sind in ihm beruhigt. – So wir die Philosophie nicht vom Gemüthe unterjocht, noch widerstreitet dieses jener, sondern beide sind in vollkommenster Uebereinstimmung. Ich kenne die Anmaßung des Gemüths, welche über das Denken herrschen will, welche nur Irreligiosität sieht, da, wo die tiefste, die wahrste Religiosität ist; ich lasse es mir gefallen, wenn es wirklich das Gemüth ist, das gegen die Philosophie feindselig verfährt; ich weiß es auch so zu achten; vielleicht hat die Philosophie selbst nur zu sehr Recht dazu gegeben. Aber wenn, wie so oft der Fall ist, ein dürrer, herzloser Glaube, ein herzloser, dün- [XV] kelhafter Verstand, wenn solche Hohlheit und Leerheit, welche in ihrer todten Gewohnheit des Glaubens und Denkens keine Ahnung hat von der tiefen, warmen Lebendigkeit des Interesses für das Höchste, von welchem die Philosophie beseelt ist, sich an ihrem Heiligthume zu vergreifen sich erfrecht, dann können wir uns eines Unmuths nicht erwehren, der so groß ist, als der Abstand, durch welchen diese von der Philosophie getrennt sind. Doch was streiten wir mit solchen! 

Aber das Gemüth als solches darf in der Philosophie nie das Wort führen, sondern das Denken, der Verstand, der den Fluß des Gemüths zum Stehen bringt. So wird ihm freilich Gewalt gethan, aber es geschieht ihm Recht damit; denn damit allein ist es im Stande, auf Wahrheit Anspruch zu machen, es hört auf, sich fortwährend zu widersprechen. Dieses Feststehen im unendlichen Wechsel, der im Gemüthe vor sich geht, ist gerade der Grundbegriff der Philosophie. Der Begriff des Geistes als eines Geistes in unendlich vielen Geistern ist der wichtigste Begriff, den wir der neueren Philosophie zu verdanken haben. Aber das Ich selbst ist nur das Zumal in einem unendlichen Wechsel seiner Elemente, es schließt sich, öffnet sich und sofort ins Unendliche, aber es wäre nicht Ich, wenn nicht im Wechsel dieser Elemente auch ihr Zugleich gesetzt wäre. Halten wir das Zugleich dieser Elemente im Gemüthe fest, dann sehen wir wieder aus ihm jene entscheidende Entzweiung des Ich hervorbrechen, welche ich oben als Folge der Zeitansichten nachgewiesen habe. So lange das Gemüth noch in seinem Wechsel begriffen ist, so lange verschwindet seine Entzweiung immer sogleich wieder in der eben so immer wieder verschwindenden Versöhnung. Aber wo der Wechsel festgehalten wird, da ist es in den härtesten Widerspruch mit sich hineingestellt; indem Ich sich zu erhalten [XVI] sucht, ist es vielmehr rein vernichtet. Der Verstand macht dem Gemüthe die Zumuthung, diese Tiefe seiner Vernichtung, die ins Mark des Lebens dringt, zu ertragen. Um diesen Preis allein kann die Philosophie sich entschließen, die Forderungen des Gemüths zu befriedigen; damit werden sie aber auch allein so befriedigt, wie es ihre wahre Natur verlangt, denn durch diese Entzweiung hindurch allein kann es seine Elemente in wahre, versöhnte Einheit bringen, eine Einheit, in welcher wir ebenso hinaus sind über das, was da ist, als in seiner Anschauung befriedigt. 

Die herrschende Philosophie kennt weder jenes Hinaus, noch diese Anschauung, sie hat beides im sichselbstdenkenden Geiste zusammengeworfen, dieser enthält zwar den wahren Begriff, daß der Geist, um sich zu wissen, sich im Andern wissen muß; aber die Unterscheidung, die in diesem Wissen enthalten ist, ist doch immer nur als aufgehobne, die Identität ruht nicht in der Kraft der Unterscheidung. Mit dieser Kraft der Unterscheidung tritt an die Stelle des absoluten Geistes das Ich; und damit hört das Sichwissen auf, das Absolute zu sein, denn das Ich, das sich im Andern weiß, ist damit schlechthin über sich und das Object hinaus; in diesem Hinaussein erst ist der wahrhafte Gott. – Man hat bisher immer die Ursache der Welt und ihren Zweck ohne Weiteres geradezu identifiziert; es ist derselbige Gott, lehrte man, der die Welt geschaffen hat, und zu dem sie zurückkehrt. Jedoch, indem man den unbestimmten Begriff der Verherrlichung Gottes als Zweck der Welt angegeben, hat man damit in der That einen Unterschied zwischen der Ursache und dem Resultate gemacht. War Gott herrlich vor der Welt, warum bedurfte es noch derselben zu seiner Verherrlichung? Aber die Unbestimmtheit des Be- [XVII] griffs läßt nicht zu, den Unterschied festzuhalten, und einen bestimmten Grund für die Schöpfung der Welt anzugeben. Ist aber die Glückseligkeit der Menschen, das höchste Gut der Zweck der Welt, dann müssen wohl diese Begriffe den Plan der Schöpfung enthalten haben, und hiemit würde dasjenige vollkommen zusammenstimmen, was ich als Prius der Welt aufgestellt habe. Aber daß der Mensch der letzte Endzweck der Welt sei, diesen Gedanken werden wir doch nie ganz festhalten können, wir sind immer genöthigt, über denselben hinaus noch einen höheren Zweck der Welt zu sezen; und der wäre dann die Verherrlichung Gottes. Wie aber sollen beide Zwecke vereinigt werden? Dieß führt auf einen Unterschied des Princips und des Resultats der Welt, wie ich ihn im vorliegenden Buche dargestellt habe. Dieser Unterschied ist wichtig, weil er uns erst einen bestimmten Begriff vom Grunde der Entstehung der Welt verschafft. Die Hegel’sche Philosophie aber, indem sie einen Gott lehrt, der auf ewige Weise sich selbst entwickelt, welche Entwicklung dann in die zeitliche Entwicklung der Welt auseinander fällt, unbeschadet des ewigen Prozesses, in welchem Gott ist, ist in dem Widerspruch befangen, Gott als Prinzip, als welcher er noch nicht der vollendete Gott ist, an die Spitze der Welt zu stellen, sofort denselben durch die Welt hindurch zu seiner Vollendung gelangen zu lassen, und doch als Prinzip und Resultat geradezu zu identifizieren, so daß er im Werden ewig ist. Auf diesen Widerspruch wird hier nicht zum ersten Mal aufmerksam gemacht; er liegt so deutlich vor Augen, daß nur eine völlig blinde Befangenheit ihn verkennen konnte. Wie stimmt das ewige Vollendetsein Gottes mit seiner successiven, wie behauptet wird, nie vollendeten Entwicklung? Es kommt daher darauf an, das Absolute als Prinzip und [XVIII] dasselbe als Resultat durch das Zwischenhineinfallen der Welt bestimmt auseinander zu halten, so daß das Prinzip noch nicht der wirkliche Gott ist, sondern sich erst im zeitlichen Verlaufe durch die Welt hindurch zum wirklichen Gott, der schlechthin ist, indem er ist, vollendet. Mit dieser Lehre ist die Lehre vom Logos und der Zusammenhang der Schöpfung, der Erlösung, und der Vollendung der Welt, welche drei Functionen dem Logos zukommen, bis er am Ende der Dinge die Herrschaft dem Vater übergibt, in ihrer wahren Bedeutung erkannt. Ich habe in der vorliegenden Schrift hierüber die nöthigen Begriffe festgestellt. – Das Prius der Welt ist in Einem der Grund der Welt und Gottes. Man wird hiedurch von selbst an die Schelling’sche Lehre von einem Grunde der Existenz Gottes erinnert, den Gott in sich selbst habe, und durch dessen Idealisierung Gott selbst sich immer vollkommnere Wirklichkeit verschafft. Das Existierende (Ideale) in der Schelling’schen Lehre ist in der That nichts anderes, als was ich Reflexion in sich nenne, der Grund dagegen nichts anderes, als was ich aufgehobne Reflexion nenne, oder, was dasselbe ist, das Object, gegen welches ich als seiner selbst bewußt in sich reflectiert ist. Diese Begriffe gerade enthalten das genaue Verständnis der Lehre Schellings. Der Ungrund dagegen ist die Indifferenz beider Elemente. So finden wir also bei Schelling die Scheidung der Elemente des Ich, und er stellt zugleich im Allgemeinen das wahre Prius der Welt auf. Allein die Reflexion in sich Gott zu nennen, ist nicht richtig, da sie als Hinaus über das Object auf ein Höheres, als Ich selbst ist, hinweist, dieses Höhere kann daher nicht die Versöhnung beider Elemente in der Liebe sein, die Alles in Allem ist; zu dem ist es nicht erlaubt, sich ohne Weiteres in die Realität dieses Pro- [XIX] zesses hineinzuversezen, ohne idealistisch abzuleiten, daß wir das Reale auf diese Weise in seinem ganzen Umfange zu denken haben.

Das Hauptgewicht ist auf diese idealistische Deduktion des Realen zu legen. Die Nothwendigkeit dieser Deduktion folgt unmittelbar aus dem Begriffe des Ich, aus dem Anfang der Philosophie, den ich aufstelle. Sie kann aber auch aus der Lehre von einem objectiven Prius der Welt eingesehen werden, denn ein solches Prius aufzustellen, von ihm wissen zu wollen, ja sogar seine Bestimmungen, seine Bewegung anzugeben, dieß muß auf den ersten Blick als ein völlig grundloses Unterfangen erscheinen, und wir müssen in der Philosophie Sorge tragen, nichts ohne Grund zu tun. Dieses Prius ist es, welches wir vor allen Dingen, ohne noch zu wissen, daß es das objective Prius ist, als das reine Ich selbst auf immanente Weise erkennen müssen. Um sodann dieses reine Ich als das absolute Prius der Welt zu wissen, als die objective Schöpferkraft, aus der die Welt hervorgegangen, dazu gehört die immanente Entwicklung des Ich zur Totalität seiner selbst, welche zugleich die Totalität des Realen ist, so daß im Resultate der Bewegung des Ich diese selbst in ihrem ganzen Umfange zur objectiven Entwicklung der Welt wird. Hierin liegt der Beweis des objectiven Prius der Welt, das Recht und die Nothwendigkeit, von ihm zu wissen und zu sprechen. Und hiemit erst ist die idealistische Deduktion des Realen, durch welche wir zur Erkenntnis des Realen kommen, nicht aber das Reale machen, in ihre Schranken gewiesen, von der objectiven Entstehung der Welt genau geschieden, und in einfache Uebereinstimmung mit dieser gebracht. Ich behaupte, dieß im vorliegenden Buche geleistet zu haben. – Die Hegel’sche Phänomenologie ist [XX] ein großartiger Versuch, auf diese Weise den Inhalt des Bewußtseins aus ihm durch seine eigne Entwicklung abzuleiten. Die Idee derselben hat mich bei Ausarbeitung der vorliegenden Schrift geleitet. Allein schon ihr Anfang zeigt, daß die Entwicklung, wie sie in ihr gegeben wird, der Doppelsinn ist, eine reale Entwicklung des Gegenstands und eine ideale des Ich zu sein; dieser Doppelsinn zieht sich durch das ganze Buch hindurch, zeigt sich im fortwährenden Durcheinanderwirren einer idealen und realen Geschichte des Selbstbewußtseins, in welchem werde jene noch diese ganz zum Worte kommt, und endigt consequent, da sie, statt das Reale zu erzeugen, es vielmehr aufhebt, in die reine, ununterschiedne Gleichheit des Wissens und des Gegenstandes. Die Bemerkung dieses Doppelsinns, der sich in der Encyclopädie gleichermaßen zeigt, und der selbst daraus hervorgeht, daß diese Philosophie die Entwicklung des Selbstbewußtseins mehr als eine Zurücknahme des Gegenstands, denn als eine Erzeugung desselben darstellt, brachte in mir zuerst die Idee einer ausführlichen Kritik der Hegel’schen Philosophie hervor; da ich aber bald einsah, daß diese Kritik zugleich die Darstellung einer positiven Ansicht sein müßte, so zog ich vor, diese zu geben, und die Kritik vorerst zu unterlassen. Besser wenigstens, die positive Darstellung vertritt die Stelle der Kritik, als diese die Stelle der erstern.

In der Philosophie kommt es noch mehr, als in irgend einer Wissenschaft auf Bestimmtheit der Begriffe an; aber in keiner Wissenschaft liegt auch die Verführung so nahe, über die Combination der systematisierenden Thätigkeit die Scheidung der Begriffe zu vernachlässigen. Die Tendenz zu systematisiren, so nothwendig sie ist, ist doch, für sich wirkend, der Wissenschaft sehr schädlich; und wir Deutsche müssen uns insbesondre jener Tendenz beschuldi- [XXI] gen und alle jene Nachtheile uns zurechnen, welche aus dieser Tendenz für unsere philosophische und theologische Litteratur hervorgegangen sind. Wir sind eher geneigt, eine Menge von Begriffen in einem Ueberblick zur Einheit zusammenzufassen, als mit Genauigkeit einen einzelnen Begriff zu markiren, wir sprechen daher lieber von Ideen, als von Begriffen, wir sind mehr erfreut, ein Prinzip für eine Reihe von Erkenntnissen zu finden, und diese in jenem, mag es gehen, wie es wolle, zusammenzudrängen, als die Erkenntnisse selbst einzeln vorzulegen. Damit hängt eine andre schädliche Tendenz zusammen, nemlich die, den Schein der Wahrheit für die Wahrheit selbst zu nehmen, einer Ansicht, die gefällt, eher unsere Zustimmung zu geben, als einer solchen, welche es verschmäht, durch einen Reiz, den sie ausübt, zu gefallen. Das Wahre soll sich uns als eine Einheit presentiren, in welcher verschiedne Vorstellungen durch eine herrschende sich einigen, ohne daß wir genöthigt sind, die einzelnen Vorstellungen selbst festzuhalten und für sich zu betrachten. Diese Tendenz mag sonst am Plaze sein, aus dem Gebiete der Wissenschaft muß sie verwiesen werden. Die Wissenschaft ist kein Geschwäz, keine Conversation. Dieses Streben, die Wahrheit zum Gegenstande des Wohlgefallens zu machen, das Wahre zu genießen, statt es zu denken, characterisirt eine Zeit, welche den Verlust des bisher Geltenden, den sie erlitten hat, durch den Schein der Wahrheit sich zu verbergen sucht. Und in der That man muß sich wundern, bis zu welcher Virtuosität unsere Zeit in der Kunst, den Schein der Wahrheit hervorzubringen, es gebracht hat. Die Philosophie selbst ist zum Theil von dieser Virtuosität nicht frei zu sprechen. Aber die wahre Philosophie ist die entschiedne Feindin des bloßen Scheins der Wahrheit selbst; statt den Irrtum [XXII] in eine gefällige Form umzuprägen, um ihm neuen Curs zu verschaffen, ist sie auf nichts mehr bedacht, als darauf, denselben nackt ausgezogen hinzustellen. Diejenigen, welchen die Wahrheit nur Gegenstand des Genusses, oder um mit dem gewöhnlichen Euphemismus zu reden, der Befriedigung der Herzensbedürfnisse ist, klagen dann über die trockne, kalte Form, in welcher die Philosophie die Wahrheit gebe; denn die Wahrheit ist für sie ein Pelz, das frierende Herz zu wärmen, und sie sind nicht im Stande, durch die trockne Form der Philosophie hindurch die Begeisterung zu fühlen, deren glühender Strom in ihr zu ruhigen und festen Gedankengestalten erkaltet ist. – Darum, weil die Philosophie den bloßen Schein der Wahrheit verschmäht, muß sie sich um bestimmte Begriffe bemühen; die Bestimmtheit der Begriffe muß so gut in ihr das System erzeugen, als das System die Bestimmtheit der Begriffe erzeugt. Man wird, hoffe ich, in dem vorliegenden Buche die Bemühung um bestimmte Begriffe nicht verkennen, ich habe es mir zur Maxime gemacht, dem Systeme die Bestimmtheit der Begriffe nicht zu opfern. – Der Tiefsinn ist gut, der Scharfsinn ist noch besser, nicht jener macht den Philosophen – denn auch das religiöse Gemüth ist tiefsinnig – sondern dieser. –

Manchem, was in der vorliegenden Darstellung vielleicht befremden wird, wird der Leser, glaube ich, bei unbefangener, näherer Betrachtung im Allgemeinen wenigstens seine Zustimmung nicht versagen können; die Unbefangenheit besteht aber auch darin, den freien Blick des Geistes durch die Gegenwart sich nicht fesseln zu lassen. Niemand wird im Ernste die Meinung hegen, daß der gegenwärtige Zustand unserer Verhältnisse für die denkende Betrachtung völlig abschließend sei; wir wären glücklich zu schäzen, wenn es so wäre, jeder fühlt aber, [XXIII] daß es nicht so ist. Was ich in dieser Hinsicht Positives aufstellte, ging ganz allein daraus hervor, daß für mich nicht die Gegenwart, sondern die Geschichte (die im Plan der Schöpfung schon bestimmt vorgezeichnet ist) die Lehrerin der Wahrheit ist; und ich kann, abgesehen von den Gründen, die für die Sache sprechen, mich nicht überzeugen, daß eine Zeit, welche so sehr in den kleinlichsten Egoismus der Interessen hinabgezogen, alles Große entbehrt, das die Massen zusammenhält und erhebt, welche, mit einer sehr spärlichen Produktivität begabt, nur von der Vergangenheit zehrt, die Erbin der Geschichte sein soll. Warum sollen wir nicht Hoffnungen einer größern Zukunft fassen dürfen? Sind wir denn an die Scholle der Gegenwart gefesselt, und einer solchen Gegenwart, die uns einengt, drückt und preßt von allen Seiten? Was Werth hat eine solche Gegenwart für uns? Und aus welchen Händen werden wir solche Hoffnungen vertrauensvoller empfangen dürfen als aus denen der Wissenschaft? Freilich um eine Zukunft zur Gegenwart zu machen, dazu gehören andere Dinge, als das aus der Welt in die Einsamkeit zurückgescheuchte Denken eines Philosophen, dieser muß es sich gefallen lassen, daß man ihn einen Träumer schelte, weil er nur berufen ist, zu denken, aber nicht zu handeln. Aber doch ist auch das Denken des Philosophen eine geschichtliche Thatsache, die selbst ein Glied in einer Reihe von Thatsachen bildet.

Aeussere Umstände und eignes Bedürfniß, meine Ansichten näher zu entwickeln, haben mich bestimmt, früher, als sonst vielleicht geschehen wäre, meine Ansicht über Philosophie dem Urtheile des Publikums vorzulegen, und ich hoffe keinen geringen Gewinn für mich selbst daraus zu ziehen, daß ich dieselbe in dieser unvollendeten Gestalt öffentlich darlege; die Philosophie wird für mich selbst [XXIV] Gegenstand unaufhörlichen Lernens und Forschens sein, ich verspreche mir deßhalb von Beurtheilungen Solcher, die wahres, unabhängiges Interesse für dergleichen Studien haben, nicht bloß für die Wahrheit, sondern für mich selbst zum Behufe eignen, weitern Fortschreitens vielfache Förderung. Der Mangel an Vollendung des Einzelnen schadet jedoch der Eigenthümlichkeit des Ganzen nicht; diese ist in allen Theilen hinreichend und stark genug, und, wie ich glaube, mit sicherer Consequenz ausgeprägt.

Ich werde mich von nun an der Bearbeitung der einzelnen philosophischen Wissenschaften zuwenden, und es wird von den Umständen abhängen, welche ich wählen werde; jedoch liegt mir zunächst daran, die Bearbeitung der rein philosophischen Wissenschaften geben zu können, um das Meinige dazu beizutragen, daß die Philosophie von dem Gezänke des Tages, bei welchem für sie nichts Gutes zu holen ist, wieder mehr entfernt und um ihrer selbst willen geliebt und studirt werde.

 

 

Stuttgart im August 1840.

 

                                  Der Verfasser.

 

 

 

 

© 2000 Dirk Fetzer