Jakob Friedrich Reiff:
Der
Anfang der Philosophie
mit
einer Grundlegung der Encyclopädie
der
philosophischen Wissenschaften
Man
hat in neuerer Zeit schon verschiedne Versuche, wie man’s nennt, neue Systeme
der Philosophie zu errichten, gesehen. Allein sie waren nur Correctionen des
geltenden Systems, denen immerhin eine allgemeine Tendenz zu Grunde lag, ohne daß
sie jedoch über die bloße Tendenz hinausgekommen wären. Wenn ich nicht irre,
sind es hauptsächlich zwei Tendenzen, welche mit dem herrschenden Systeme
entzweiten: die Tendenz der Anschauung, und die der Persönlichkeit. Beide
treten nicht vereinzelt auf, sondern immer mit einander, aber doch sind sie
verschieden, und haben verschiedne Repräsentanten. Sie sind innerhalb der
Schule sich sehr schroff entgegengesetzt; außerhalb derselben streben sie
zusammen. Der aufmerksame Leser wird in dem Buche, das ich ihm vorlege, leicht
finden, daß ich mit diesen Tendenzen vollkommen einverstanden bin. Aber ich
fordere, dieselben in ihrem schroffsten Gegensaze zu denken, das Ich als
vollkommen reflectirt, und die Aufhebung dieser Reflexion, die [V]
Anschauung, scharf zu scheiden, wenn die wahre Einheit beider erreicht werden
soll. Wie leicht machen es sich diejenigen, welche über Hegel hinausgegangen
sind, beide Elemente zu vereinigen! Sie fordern die absolute Persönlichkeit und
die Anschauung mit Recht, aber es kostet ihnen nicht viel Mühe, die Identität
beider zu behaupten. Darum bleibt ihr System eine bloße Tendenz; ihre Tendenz würde
nur dann ein System und könnte sich in einer Entwicklung ausbreiten, wenn sie
den Gegensaz dieser Elemente faßten, auf den Ursprung desselben zurückgingen,
und dann die Reduction des Gegensazes zur Einheit nachwiesen. Wenn sie dem Hegel’schen
Systeme zum Vorwurfe machen, daß die Persönlichkeit und die Anschauung in ihm
nicht zu ihrem Rechte komme, so kehrt sich dieser Vorwurf gegen sie selbst; denn
beide kommen nur dann zu ihrem Rechte, wenn sie vor allen Dingen so scharf als möglich
geschieden werden. Der Mangel dieser Scheidung ist der gemeinsame Fehler des
Systems und der Tendenzen, die über das System hinausstreben. Aber in der That
hat das System hierin einen entschiednen Vorzug; der Geist, um sich zu wissen,
um Geist zu sein, entwickelt sich in ihm, diese Entwicklung enthält es
unmittelbar, daß der Geist sein Selbstbewußtsein erst durch Aufhebung eines
Gegensazes sich erschaffen muß. Diesen nothwendigen Prozeß leugnen diejenigen,
welche das System zu corrigiren unternommen haben, damit haben sie die Möglichkeit
des Systems selbst aufgehoben. – Hiemit hängt ein weiterer Fehler dieser
Tendenzen zusammen, durch welchen sie namentlich bei der Religiosität der Zeit
großen Eingang gefunden haben. Die absolute Persönlichkeit ist nach der
Ansicht dieser Philosophen unmittelbar fertig; es gefällt ihr zwar, sich der
Anschauung der Menschen preiszugeben, und in [VI]
der Entwicklung der Welt sich darzustellen, ohne daß man weiß, warum es ihr so
gefällt, aber sie selbst ist das alles auf ein Mal jenseits der Welt. Ohne
Zweifel ist die absolute Persönlichkeit nicht möglich, ohne die Momente ihrer
Entwicklung zum Zumal zusammen zu fassen; die Ichheit ist gerade der feste,
ruhige Pol im vollkommnen Wechsel ihrer Elemente. Aber sie tritt damit in ein
Verhältniß zum Object, und bildet sich erst durch dieses Verhältniß in einer
sehr ausgedehnten Entwicklungsreihe zur absoluten Persönlichkeit, und diese
selbst steht nothwendig in einem Verhältnis zur Welt, in welchem ihr das Prädikat
der Gottheit unmöglich zukommen kann. Denn sie bedarf des Objects, um ihrer
selbst bewußt zu sein, und indem sie dabei zugleich in ihr selbst das Band des
Selbstbewußtseins knüpft, ist sie schlechthin hinaus über sich und das Object,
und in diesem Hinaussein der absoluten Persönlichkeit über sich und das Object
erst ist der wahrhaftige Gott. Was
kann uns berechtigen, über uns hinauszugehen und ein Reales ausser und über
unserem Selbstbewußtsein anzunehmen? diese Frage – seit Kant die Frage der
Philosophie – wird durch die Lehre von einer in sich beschlossnen, in sich
fertigen Persönlichkeit abgeschnitten, hier ist keine Ahnung jenes Widerspruchs
im Begriffe des Ich vorhanden, aus welchem jene eigenthümlich philosophische
Frage hervorgegangen ist. Ich finde nicht, daß jene Lehre einen Beweis der
Transcendenz ihrer Persönlichkeit gegeben hat, aber das weiß ich, daß der
Begriff dieser Persönlichkeit gerade darum falsch ist, weil sie über den
Menschen hinausgedacht wird. Um den wahren Begriff der Persönlichkeit zu
gewinnen, müssen wir sie im Menschen festhalten. Hier deckt sich uns die
Nothwendigkeit auf, ihre Elemente, die Reflexion in [VII] sich, und die
Anschauung, in welcher diese Reflexion als aufgehobne ist, bestimmt zu scheiden;
und hiemit eröffnet sich vor uns das Drama des Selbstbewußtseins, dessen
tragische Natur uns nicht abhalten darf, in es einzugehen, weil wir sicher
hoffen dürfen, daß es seine Widersprüche zur Versöhnung überwinden werde.
Sind wir einmal dazu gekommen, das Selbstbewußtsein in uns als absolutes
festzuhalten, ohne es irgendwie an ein Jenseits entschlüpfen zu lassen, dann
erst wird jene Tendenz der Persönlichkeit und der Anschauung uns in ihrer
ganzen Bedeutung erscheinen, die Schärfe ihres Gegensazes wird heraustreten,
und die Hoffnung einer neuen, wahren Versöhnung derselben wird sich uns bilden.
Und dann erst werden wir auch mit vollkommner Sicherheit eine transcendente
Realität aufstellen können. Jene
Lehre von einer in sich fertigen, vollendeten, harmonischen Persönlichkeit ,
welche an die Spitze der Welt gestellt wird, kann das Zeichen eines glücklichen
Geistes der Zeit scheinen, denn der menschliche Geist feiert darin nur die
Apotheose der Form, welche sein eigenes Selbstbewußtsein errichtet hat. Aber
dieses glückliche Zeichen verkehrt sich in ein sehr unglückliches, sobald man
die Voreiligkeit bemerkt, mit welcher diese harmonische Einheit behauptet wird,
sobald man einsieht, daß die in ihrer Unterscheidung zu Bewußtsein gekommnen
Elemente des Ich auch wirklich ihre Scheidung fordern. Die Schärfe dieser
Scheidung weist auf eine Revolution des Selbstbewußtseins hin, welche
entscheidender und erschütternder als alle bisherigen eine völlige
Umgestaltung desselben zur Folge haben muß. Die Lehre von einem absoluten
Geiste, von einer absoluten Persönlichkeit (welche mit er ersten genau zusammen
hängt), stellt einen Begriff des Ich auf, das als selbstbewußtes Alles in sich
[VIII]
schließt,das kein inneres Bedürfnis hat, sich für eine Realität ausser ihm,
als seinem Leben, sich zu öffnen, und daher in sich befriedigt sich selbst als
alle Realität genießt. Wir dürften uns glücklich schäzen, einen so hohen
Begriff des Selbstbewußtseins erreicht zu haben, wenn nicht gerade dieser
Reichtum – die baare nackte Armuth wäre. Mitten in solchem Reichthum ergreift
den Geist das unglückselige Gefühl einer innern, realitätslosen Leerheit;
statt daß er selbst in sich alles Leben wäre, ist er gerade darum, weil er es
in sich sein will, weil er in sich alles Leben absorbiert, nur das Grab aller
Realität und alles Lebens. Denn in dem Wechselspiel seines Lebens, aus sich
hinauszugehen und in sich zurückzukehren, sich zu öffnen und sich zu schließen,
ist es das lezte Element, welches er festhält; aber damit ist nur der Wechsel
sistirt, und das andere Element, in welchem der Geist nach aussen sich öffnet,
um draussen sein Leben zu finden, ebenso festgehalten. So kommt es dem Geiste zu
Bewußtsein, daß er in seiner Rückkehr in sich, weil er in ihr aus sich
hinaus, hier die Realität zu finden, getrieben ist, alle Realität begraben
hat. An die Stelle der reinen Befriedigung seiner selbst mit sich tritt das Gefühl
eines Drangs nach Realität ausser ihm, ein Hunger und Durst nach Leben, dessen
Mangel er in sich fühlt; „Dasein, Dasein! Ruf es in ihm; er will Lieber in
die Arme der Welt, als in die Arme des Todes stürzen.“ Die in sich fertige,
vollendete Persönlichkeit ist die heftigste, ruhelose Sehnsucht nach einer
Realität ausser ihr geworden; sie hat ihren Haltpunkt in sich verloren; aus dem
reinen Denken sind wir herausgetrieben, wir fordern eine Anschauung, eine
wirkliche Realität, an die wir unser Selbst befestigen können. Das Selbstbewußtsein
ist in sich vernichtet, draussen ist sein Leben; wir wollen eine wahre
Wirklichkeit ohne Täu- [IX] schung, um in ihr
unser Leben und unsere Versöhnung zu haben. – Ihr habt dem Geiste, um ihn zu
verherrlichen, alle Realität geopfert, aber auf seinen Trümmern habt ihr ihm
seinen einsamen Thron erbaut, und seine Geschichte, seine Gegenwart zu einer
Ruine gemacht, in der er trauernd wandelt, der Schatten eines gewesnen, reichen
Lebens. Für euch ist die Natur nur der Abfall des Geistes von sich selbst,
seine Knechtsgestalt, hinter welcher er seine göttliche Majestät verbirgt;
aber diese Majestät ist nur eine glänzende Armuth. Gebt ihm eine Anschauung,
die Anschauung der Natur, des Universums, er wird wieder aus dem Grabe, in das
er alles Leben versenkt hat, auferstehen und Leben und volle Genüge haben. Dann
erst ruht er aus von dem innern Leiden der Sehnsucht, das ihm entstand, als er
alle Realität ausser ihm von sich gewiesen hatte, und sich vermaß, an ihm
selbst alles Leben zu haben. Aber es war die reine Rückkehr in sich selbst, das
reine Erfassen seiner selbst, als Hinaus über das, was da ist, wodurch der
Geist bestimmt wurde, sich ganz nach aussen zu öffnen und aufzugehen in der
Anschauung des Göttlichen, das ihm ausser ihm erscheint. Darum weiß er seine
Hingebung als seine That, seine Kraft hat er in seinem Leiden; es ist die Fülle
seines Innern, die ihm die Anschauung hat entgegentreten lassen, und er kennt
keinen Gott, der ihn zum bloßen Leiden verurtheilte. Sein Idealismus, der er
war, ehe die Welt war, und aus welchem die Welt entsprang, ist sein Selbstbewußtsein
geworden, seine ursprüngliche schöpferische Kraft, welche am Anfange in ihrem
Werke, der Welt, verloren gehend fort und fort an ihm schuf und wirkte, um sich
wieder zu erreichen, ist zum Tag des absoluten Selbstbewußtseins
hervorgebrochen, in welchem der Geist sich erinnert, nur sein Werk im
Angeschauten zu erblicken, und daher gewiß ist, sich selbst in ihm wieder zu
finden, aber auch [X]
als Hinaus über das Angeschaute seine reine Kraft in seinem Gotte zu haben. –
Hier erst haben wir eine Einheit, eine Harmonie des Selbstbewußtseins, welche
den Gegensaz nicht ignoriert und über ihn hinwegeilt, sondern ihn überwindet.
In der That, wollen wir jene reine Harmonie erreichen, es wird uns nicht gegönnt
sein, so leichthin, wie im Genusse, sie zu erhaschen, sondern wir werden sie nur
von der vollständigen Disharmonie aus erreichen können. Die Versöhnung des
Geistes muß freie That sein, sie wird ihm nicht geschenkt. Aber ist sie nur als
seine That, dann muß er die Kraft und den Muth haben in den völligen Verlust
seiner selbst einzugehen, die Schauer dieses Verlustes nicht zu scheuen, und aus
ihm sich wiederherzustellen. Doch was rede ich hier von Forderungen? die eigne
unwiderstehliche Nothwendigkeit des Selbstbewußtseins zieht es hinab in die
Tiefe des reinen Verlustes seiner selbst, und in seiner Natur liegt es, daß es
aus der reinen Erniedrigung dieses Verlustes seiner selbst heraus sich frei in
seiner reinen, ganzen Hoheit, wie eine neue Welt, erhebt. „Nicht das Leben,
das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das
ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt
seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst
findet.“ In
der Tiefe dieses Gegensazes entspringt erst die wahre Philosophie. Sie nimmt die
alte Schuld, die auf dem Menschengeiste lastet, seit er die erste Unschuld
seines Lebens verscherzt, die Schuld der Entfremdung von seinem Objecte in der
ganzen Schärfe ihrer Entzweiung auf sich, um sie zu tilgen. Sie macht daher
Ernst mit der großen Frage, wie wir dazu kommen, ein Reales, das ausser und über
unserem Selbstbewußtsein liegt, zu wissen; aber sie ist auch von der Tiefe
dieses Gegensazes [XI]
aus im Stande, die Lösung dieser Frage zu geben. – Haben wir das menschliche
Bewußtsein als das absolute gefaßt, dann freilich scheint es, wir haben uns
gleich von vornherein entschlossen, nichts jenseits oder diesseits desselben
anzuerkennen, und es uns unmöglich gemacht, ein solches Reales zu finden.
Allein es scheint nur so. Vielmehr erreichen wir erst von diesem Begriffe aus
eine wahre und wirkliche Realität. Erst durch die bestimmte Abweisung einer
vorausgesezten Realität gelangen wir zur wahren jenseitigen und diesseitigen
Realität, und sind im Stande, mit vollständiger Sicherheit ein absolutes Prius
der Welt aufzustellen, welches bisher immer blos behauptet wurde, mit einer
genauen Einsicht in seine Bestimmungen, in seinen Anfang und seine Entwicklung;
wir wissen, daß die diesseitige Realität der Schöpfung ihrem wahren Begriffe
nach die Entwicklung jenes Prius zum absoluten Resultate ist, und gewinnen eben
damit einen sichern Begriff eines absoluten Jenseits, der als Resultat der Welt
schlechthin über sie, somit auch über uns hinaus ist. – Durch die practische
Vernunft gelangte Kant zum Dasein Gottes; der einzige Fehler, den er
machte, war, daß er diesen entscheidenden Gedanken einer praktischen Begründung
der Realität Gottes nicht rein festgehalten, sondern eben nur die theoretische
Annahme des Daseins Gottes für ein Bedürfniß der praktischen Vernunft
genommen hat; daher war es den kantischen Theologen leicht möglich, ein
gleiches Bedürfniß in der theoretischen Vernunft zu finden. Allein die
Existenz Gottes im absoluten Sinne ist keine theoretische Annahme, ihre Gewißheit
ist ganz in das praktische Ich eingeschlossen. Halten wir diesen Begriff fest,
dann folgt auch aus der Gewißheit der Realität Gottes die Gewißheit der
Realität der Welt, und nicht blos die Gewiß- [XII]
heit ihrer Existenz, sonden die Einsicht in das, was sie ist, und die Einsicht
in ihr absolutes Prius. Denn Ich als absolutes Sollen scheint uns zwar nur
schlechthin hinauszuheben über das was da ist; aber man hat, indem man gegen
das Sollen spröde that, nicht daran gedacht, daß wir durch es zur ganzen Fülle
der Anschauung dessen, was da ist, gelangen, daß wir damit den ganzen Prozeß
unseres Selbstbewußtseins objectiv als den Prozeß der Welt wissen, und so mit
Sicherheit ihr Prius, den Gang ihrer Entwicklung, und ihr Resultat aufzustellen
im Stande sind. Die
Philosophie darf von den Forderungen des Gemüths nicht unterjocht werden, aber
sie darf ihnen auch nicht widersprechen. Das Gemüth hat keinen Werth, wenn es
die scharfe Critik des Verstandes nicht auszuhalten im Stande ist; und ohne
Zweifel kann das Gemüth so gut irren, wie der Verstand, aber es ist noch hartnäckiger
in der Festhaltung des Irrthums, als der Verstand, sein Irrthum wird leichter
zur Gewohnheit, zu einem Liebling des Herzens, als der Irrthum des Verstandes,
weil es leicht in Eine Vorstellung, in welche viele ununterschieden
zusammengehen, sich vertieft, ohne die Unterschiede zu fixieren, das Denken aber
durch den Reichthum und die Mannigfaltigkeit seiner Thätigkeit von selbst zur
Scheidung der Vorstellungen und somit zur Erkenntniß des Irrthums geführt
wird. – Was nennen wir Gemüth? Ist es nicht jene gänzliche Concentration in
uns selbst, in welcher wir von uns selbst aus ganz offen sind nach aussen? –
Die Empfindungen des Gemüths sind nicht blos so flüchtige Bewegungen, die
unserer Seele von aussen her angehaucht sind, ohne in ihre Tiefe zu reichen und
diese zu offenbaren. Vielmehr drücken wir in denselben unser ganzes Ich aus;
was uns von aussen anregt, das verweben wir zuerst mit dem Inner- [XIII]
sten unsrer Seele, und aus diesem heraus erst erhebt sich die Bestimmtheit des
Gefühls, als eine Gestalt, in welcher unser Wesen mit dem Wesen des
Gegenstandes aufs Innigste verschmolzen ist. Diese Innerlichkeit des Gemüths
ist es aber auch, durch welche wir uns über uns selbst und die Welt
hinausgetragen wissen; sie weckt in uns die Ahnung eines unendlich Höhern und
Bessern, als wir selbst sind und vor uns haben. In dieser Ahnung und der
Sehnsucht, welche sie uns aufregt, sind wir aus unserer innersten Tiefe heraus
schlechthin offen für ein höheres über und ausser uns. Aber hier mitten in
der Wahrheit beginnt der Irrthum des Gemüths; hier zerfließt es in eine
Bewegung, welche wir zum Stehen bringen müssen, um zur Wahrheit zu kommen. Jene
Sehnsucht geht hinaus über die Welt, geht in sich zurück, und öffnet sich
einer Realität, die sie festzuhalten strebt, um in ihr auszuruhen. Aber sie
geht dabei nicht bloß über die Welt hinaus, sondern auch über dieses Höhere;
denn das freie, ganze Offensein der Hingebung an dieses entspringt immerfort aus
der reinsten Einkehr in sich selbst, diese ist daher nicht blos gegen die Welt,
sondern gegen das Höhere selbst gerichtet. Daher geht das Gemüth auch über
dieses hinaus, um sich ihm wieder zu öffnen, und rückt so den Gegenstand in
eine immer größere Entfernung von sich hinaus, steigt immer von einem Höheren
zu einem noch Höheren, ohne das Höchste selbst zu erreichen. Hier, sage ich,
liegt der Irrthum des Gemüths; es sieht nicht, daß das Höchste, das es zu
haben glaubt, nur ein immer Höheres und Höheres ist, daß es dasselbe immer
wieder erniedrigt, um über es hinauszugehen, daß es in der That nur im
Wechselspiel des Hinausgehens (der Reflexion in sich) und des Sichöffnens (der
aufgehobnen Reflexion) begriffen ist, ohne ein Festes, Ruhendes in diesem
Wechsel zu besizen. In dem reinen Hinausgehen über das, was da [XIV] ist, zugleich
und in Einem sich nach aussen zu öffnen, so daß Ich in Einem demselben
sich öffnet, über welches es hinausgeht, das ist die Wahrheit, welche im Gemüth
liegt; sie ist das Höchste, welches ich im vorliegenden Buche darzustellen
versucht habe; so entsteht eine Philosophie, welche das Gemüth achtet, von ihm
durchwärmt und beseelt ist, aber auch seine dunkle Tiefe zum reinen Lichte des
Gedankens erhebt. Was wir immer nur jenseits gesucht haben, es liegt vor uns in
der Anschauung des Universums, welche aus unsrer eignen Tiefe entsprungen; aber
wir haben diese Anschauung nur, indem wir in der reinen Kraft des Sollens über
sie hinausgehen in ein Jenseits, dessen Realität unsere und der Welt absolute
Forderung ist. So erscheint dem
unbefangnen Gemüthe, wenn es vom Jenseits, zu dem es sich erhoben, zum
Diesseits zurückkehrt, die Welt in einem höhern, schönern Glanze, und eine
wohlthuende Versöhnung dringt von allen Seiten in es ein, und durchströmt all
sein Sinnen und Fühlen, oder so entsteht uns, wenn wir aus dem auf uns
lastenden Druck der Welt heraus uns über sie erhoben haben, die Ahnung und Gewißheit
einer Freiheit, welche im Drucke dieser Nothwendigkeit herrscht, und wir sind in
ihm beruhigt. – So wir die Philosophie nicht vom Gemüthe unterjocht, noch
widerstreitet dieses jener, sondern beide sind in vollkommenster
Uebereinstimmung. Ich kenne die Anmaßung des Gemüths, welche über das Denken
herrschen will, welche nur Irreligiosität sieht, da, wo die tiefste, die
wahrste Religiosität ist; ich lasse es mir gefallen, wenn es wirklich das Gemüth
ist, das gegen die Philosophie feindselig verfährt; ich weiß es auch so zu
achten; vielleicht hat die Philosophie selbst nur zu sehr Recht dazu gegeben.
Aber wenn, wie so oft der Fall ist, ein dürrer, herzloser Glaube, ein
herzloser, dün- [XV]
kelhafter Verstand, wenn solche Hohlheit und Leerheit, welche in ihrer todten
Gewohnheit des Glaubens und Denkens keine Ahnung hat von der tiefen, warmen
Lebendigkeit des Interesses für das Höchste, von welchem die Philosophie
beseelt ist, sich an ihrem Heiligthume zu vergreifen sich erfrecht, dann können
wir uns eines Unmuths nicht erwehren, der so groß ist, als der Abstand, durch
welchen diese von der Philosophie getrennt sind. Doch was streiten wir mit
solchen! Aber
das Gemüth als solches darf in der Philosophie nie das Wort führen, sondern
das Denken, der Verstand, der den Fluß des Gemüths zum Stehen bringt. So wird
ihm freilich Gewalt gethan, aber es geschieht ihm Recht damit; denn damit allein
ist es im Stande, auf Wahrheit Anspruch zu machen, es hört auf, sich fortwährend
zu widersprechen. Dieses Feststehen im unendlichen Wechsel, der im Gemüthe vor
sich geht, ist gerade der Grundbegriff der Philosophie. Der Begriff des Geistes
als eines Geistes in unendlich vielen Geistern ist der wichtigste Begriff, den
wir der neueren Philosophie zu verdanken haben. Aber das Ich selbst ist nur das
Zumal in einem unendlichen Wechsel seiner Elemente, es schließt sich, öffnet
sich und sofort ins Unendliche, aber es wäre nicht Ich, wenn nicht im Wechsel
dieser Elemente auch ihr Zugleich gesetzt wäre. Halten wir das Zugleich dieser
Elemente im Gemüthe fest, dann sehen wir wieder aus ihm jene entscheidende
Entzweiung des Ich hervorbrechen, welche ich oben als Folge der Zeitansichten
nachgewiesen habe. So lange das Gemüth noch in seinem Wechsel begriffen ist, so
lange verschwindet seine Entzweiung immer sogleich wieder in der eben so immer
wieder verschwindenden Versöhnung. Aber wo der Wechsel festgehalten wird, da
ist es in den härtesten Widerspruch mit sich hineingestellt; indem Ich sich zu
erhalten [XVI] sucht, ist es
vielmehr rein vernichtet. Der Verstand macht dem Gemüthe die Zumuthung, diese
Tiefe seiner Vernichtung, die ins Mark des Lebens dringt, zu ertragen. Um diesen
Preis allein kann die Philosophie sich entschließen, die Forderungen des Gemüths
zu befriedigen; damit werden sie aber auch allein so befriedigt, wie es ihre
wahre Natur verlangt, denn durch diese Entzweiung hindurch allein kann es seine
Elemente in wahre, versöhnte Einheit bringen, eine Einheit, in welcher wir
ebenso hinaus sind über das, was da ist, als in seiner Anschauung befriedigt. Die
herrschende Philosophie kennt weder jenes Hinaus, noch diese Anschauung, sie hat
beides im sichselbstdenkenden Geiste zusammengeworfen, dieser enthält zwar den
wahren Begriff, daß der Geist, um sich zu wissen, sich im Andern wissen muß;
aber die Unterscheidung, die in diesem Wissen enthalten ist, ist doch immer nur
als aufgehobne, die Identität ruht nicht in der Kraft der Unterscheidung. Mit
dieser Kraft der Unterscheidung tritt an die Stelle des absoluten Geistes das
Ich; und damit hört das Sichwissen auf, das Absolute zu sein, denn das Ich, das
sich im Andern weiß, ist damit schlechthin über sich und das Object hinaus; in
diesem Hinaussein erst ist der wahrhafte Gott. – Man hat bisher immer die
Ursache der Welt und ihren Zweck ohne Weiteres geradezu identifiziert; es ist
derselbige Gott, lehrte man, der die Welt geschaffen hat, und zu dem sie zurückkehrt.
Jedoch, indem man den unbestimmten Begriff der Verherrlichung Gottes als Zweck
der Welt angegeben, hat man damit in der That einen Unterschied zwischen der
Ursache und dem Resultate gemacht. War Gott herrlich vor der Welt, warum
bedurfte es noch derselben zu seiner Verherrlichung? Aber die Unbestimmtheit des
Be- [XVII] griffs läßt
nicht zu, den Unterschied festzuhalten, und einen bestimmten Grund für die Schöpfung
der Welt anzugeben. Ist aber die Glückseligkeit der Menschen, das höchste Gut
der Zweck der Welt, dann müssen wohl diese Begriffe den Plan der Schöpfung
enthalten haben, und hiemit würde dasjenige vollkommen zusammenstimmen, was ich
als Prius der Welt aufgestellt habe. Aber daß der Mensch der letzte Endzweck
der Welt sei, diesen Gedanken werden wir doch nie ganz festhalten können, wir
sind immer genöthigt, über denselben hinaus noch einen höheren Zweck der Welt
zu sezen; und der wäre dann die Verherrlichung Gottes. Wie aber sollen beide
Zwecke vereinigt werden? Dieß führt auf einen Unterschied des Princips und des
Resultats der Welt, wie ich ihn im vorliegenden Buche dargestellt habe. Dieser
Unterschied ist wichtig, weil er uns erst einen bestimmten Begriff vom Grunde
der Entstehung der Welt verschafft. Die Hegel’sche Philosophie aber,
indem sie einen Gott lehrt, der auf ewige Weise sich selbst entwickelt, welche
Entwicklung dann in die zeitliche Entwicklung der Welt auseinander fällt,
unbeschadet des ewigen Prozesses, in welchem Gott ist, ist in dem Widerspruch
befangen, Gott als Prinzip, als welcher er noch nicht der vollendete Gott ist,
an die Spitze der Welt zu stellen, sofort denselben durch die Welt hindurch zu
seiner Vollendung gelangen zu lassen, und doch als Prinzip und Resultat geradezu
zu identifizieren, so daß er im Werden ewig ist. Auf diesen Widerspruch wird
hier nicht zum ersten Mal aufmerksam gemacht; er liegt so deutlich vor Augen, daß
nur eine völlig blinde Befangenheit ihn verkennen konnte. Wie stimmt das ewige
Vollendetsein Gottes mit seiner successiven, wie behauptet wird, nie vollendeten
Entwicklung? Es kommt daher darauf an, das Absolute als Prinzip und [XVIII] dasselbe als
Resultat durch das Zwischenhineinfallen der Welt bestimmt auseinander zu halten,
so daß das Prinzip noch nicht der wirkliche Gott ist, sondern sich erst im
zeitlichen Verlaufe durch die Welt hindurch zum wirklichen Gott, der schlechthin
ist, indem er ist, vollendet. Mit dieser Lehre ist die Lehre vom Logos und der
Zusammenhang der Schöpfung, der Erlösung, und der Vollendung der Welt, welche
drei Functionen dem Logos zukommen, bis er am Ende der Dinge die Herrschaft dem
Vater übergibt, in ihrer wahren Bedeutung erkannt. Ich habe in der vorliegenden
Schrift hierüber die nöthigen Begriffe festgestellt. – Das Prius der Welt
ist in Einem der Grund der Welt und Gottes. Man wird hiedurch von selbst an die Schelling’sche
Lehre von einem Grunde der Existenz Gottes erinnert, den Gott in sich selbst
habe, und durch dessen Idealisierung Gott selbst sich immer vollkommnere
Wirklichkeit verschafft. Das Existierende (Ideale) in der Schelling’schen
Lehre ist in der That nichts anderes, als was ich Reflexion in sich nenne, der
Grund dagegen nichts anderes, als was ich aufgehobne Reflexion nenne, oder, was
dasselbe ist, das Object, gegen welches ich als seiner selbst bewußt in sich
reflectiert ist. Diese Begriffe gerade enthalten das genaue Verständnis der
Lehre Schellings. Der Ungrund dagegen ist die Indifferenz beider
Elemente. So finden wir also bei Schelling die Scheidung der Elemente des Ich,
und er stellt zugleich im Allgemeinen das wahre Prius der Welt auf. Allein die
Reflexion in sich Gott zu nennen, ist nicht richtig, da sie als Hinaus über das
Object auf ein Höheres, als Ich selbst ist, hinweist, dieses Höhere kann daher
nicht die Versöhnung beider Elemente in der Liebe sein, die Alles in Allem ist;
zu dem ist es nicht erlaubt, sich ohne Weiteres in die Realität dieses Pro- [XIX]
zesses hineinzuversezen, ohne idealistisch abzuleiten, daß wir das Reale auf
diese Weise in seinem ganzen Umfange zu denken haben. Das
Hauptgewicht ist auf diese idealistische Deduktion des Realen zu legen. Die
Nothwendigkeit dieser Deduktion folgt unmittelbar aus dem Begriffe des Ich, aus
dem Anfang der Philosophie, den ich aufstelle. Sie kann aber auch aus der Lehre
von einem objectiven Prius der Welt eingesehen werden, denn ein solches Prius
aufzustellen, von ihm wissen zu wollen, ja sogar seine Bestimmungen, seine
Bewegung anzugeben, dieß muß auf den ersten Blick als ein völlig grundloses
Unterfangen erscheinen, und wir müssen in der Philosophie Sorge tragen, nichts
ohne Grund zu tun. Dieses Prius ist es, welches wir vor allen Dingen, ohne noch
zu wissen, daß es das objective Prius ist, als das reine Ich selbst auf
immanente Weise erkennen müssen. Um sodann dieses reine Ich als das absolute
Prius der Welt zu wissen, als die objective Schöpferkraft, aus der die Welt
hervorgegangen, dazu gehört die immanente Entwicklung des Ich zur Totalität
seiner selbst, welche zugleich die Totalität des Realen ist, so daß im
Resultate der Bewegung des Ich diese selbst in ihrem ganzen Umfange zur
objectiven Entwicklung der Welt wird. Hierin liegt der Beweis des objectiven
Prius der Welt, das Recht und die Nothwendigkeit, von ihm zu wissen und zu
sprechen. Und hiemit erst ist die idealistische Deduktion des Realen, durch
welche wir zur Erkenntnis des Realen kommen, nicht aber das Reale machen,
in ihre Schranken gewiesen, von der objectiven Entstehung der Welt genau
geschieden, und in einfache Uebereinstimmung mit dieser gebracht. Ich behaupte,
dieß im vorliegenden Buche geleistet zu haben. – Die Hegel’sche Phänomenologie
ist [XX]
ein großartiger Versuch, auf diese Weise den Inhalt des Bewußtseins aus ihm
durch seine eigne Entwicklung abzuleiten. Die Idee derselben hat mich bei
Ausarbeitung der vorliegenden Schrift geleitet. Allein schon ihr Anfang zeigt,
daß die Entwicklung, wie sie in ihr gegeben wird, der Doppelsinn ist, eine
reale Entwicklung des Gegenstands und eine ideale des Ich zu sein; dieser
Doppelsinn zieht sich durch das ganze Buch hindurch, zeigt sich im fortwährenden
Durcheinanderwirren einer idealen und realen Geschichte des Selbstbewußtseins,
in welchem werde jene noch diese ganz zum Worte kommt, und endigt consequent, da
sie, statt das Reale zu erzeugen, es vielmehr aufhebt, in die reine,
ununterschiedne Gleichheit des Wissens und des Gegenstandes. Die Bemerkung
dieses Doppelsinns, der sich in der Encyclopädie gleichermaßen zeigt, und der
selbst daraus hervorgeht, daß diese Philosophie die Entwicklung des Selbstbewußtseins
mehr als eine Zurücknahme des Gegenstands, denn als eine Erzeugung desselben
darstellt, brachte in mir zuerst die Idee einer ausführlichen Kritik der
Hegel’schen Philosophie hervor; da ich aber bald einsah, daß diese Kritik
zugleich die Darstellung einer positiven Ansicht sein müßte, so zog ich vor,
diese zu geben, und die Kritik vorerst zu unterlassen. Besser wenigstens, die
positive Darstellung vertritt die Stelle der Kritik, als diese die Stelle der
erstern. In
der Philosophie kommt es noch mehr, als in irgend einer Wissenschaft auf
Bestimmtheit der Begriffe an; aber in keiner Wissenschaft liegt auch die Verführung
so nahe, über die Combination der systematisierenden Thätigkeit die Scheidung
der Begriffe zu vernachlässigen. Die Tendenz zu systematisiren, so nothwendig
sie ist, ist doch, für sich wirkend, der Wissenschaft sehr schädlich; und wir
Deutsche müssen uns insbesondre jener Tendenz beschuldi- [XXI]
gen und alle jene Nachtheile uns zurechnen, welche aus dieser Tendenz für
unsere philosophische und theologische Litteratur hervorgegangen sind. Wir sind
eher geneigt, eine Menge von Begriffen in einem Ueberblick zur Einheit
zusammenzufassen, als mit Genauigkeit einen einzelnen Begriff zu markiren, wir
sprechen daher lieber von Ideen, als von Begriffen, wir sind mehr erfreut, ein
Prinzip für eine Reihe von Erkenntnissen zu finden, und diese in jenem, mag es
gehen, wie es wolle, zusammenzudrängen, als die Erkenntnisse selbst einzeln
vorzulegen. Damit hängt eine andre schädliche Tendenz zusammen, nemlich die,
den Schein der Wahrheit für die Wahrheit selbst zu nehmen, einer Ansicht, die
gefällt, eher unsere Zustimmung zu geben, als einer solchen, welche es verschmäht,
durch einen Reiz, den sie ausübt, zu gefallen. Das Wahre soll sich uns als eine
Einheit presentiren, in welcher verschiedne Vorstellungen durch eine herrschende
sich einigen, ohne daß wir genöthigt sind, die einzelnen Vorstellungen selbst
festzuhalten und für sich zu betrachten. Diese Tendenz mag sonst am Plaze sein,
aus dem Gebiete der Wissenschaft muß sie verwiesen werden. Die Wissenschaft ist
kein Geschwäz, keine Conversation. Dieses Streben, die Wahrheit zum Gegenstande
des Wohlgefallens zu machen, das Wahre zu genießen, statt es zu denken,
characterisirt eine Zeit, welche den Verlust des bisher Geltenden, den sie
erlitten hat, durch den Schein der Wahrheit sich zu verbergen sucht. Und in der
That man muß sich wundern, bis zu welcher Virtuosität unsere Zeit in der
Kunst, den Schein der Wahrheit hervorzubringen, es gebracht hat. Die Philosophie
selbst ist zum Theil von dieser Virtuosität nicht frei zu sprechen. Aber die
wahre Philosophie ist die entschiedne Feindin des bloßen Scheins der Wahrheit
selbst; statt den Irrtum [XXII]
in eine gefällige Form umzuprägen, um ihm neuen Curs zu verschaffen, ist sie
auf nichts mehr bedacht, als darauf, denselben nackt ausgezogen hinzustellen.
Diejenigen, welchen die Wahrheit nur Gegenstand des Genusses, oder um mit dem
gewöhnlichen Euphemismus zu reden, der Befriedigung der Herzensbedürfnisse
ist, klagen dann über die trockne, kalte Form, in welcher die Philosophie die
Wahrheit gebe; denn die Wahrheit ist für sie ein Pelz, das frierende Herz zu wärmen,
und sie sind nicht im Stande, durch die trockne Form der Philosophie hindurch
die Begeisterung zu fühlen, deren glühender Strom in ihr zu ruhigen und festen
Gedankengestalten erkaltet ist. – Darum, weil die Philosophie den bloßen
Schein der Wahrheit verschmäht, muß sie sich um bestimmte Begriffe bemühen;
die Bestimmtheit der Begriffe muß so gut in ihr das System erzeugen, als das
System die Bestimmtheit der Begriffe erzeugt. Man wird, hoffe ich, in dem
vorliegenden Buche die Bemühung um bestimmte Begriffe nicht verkennen, ich habe
es mir zur Maxime gemacht, dem Systeme die Bestimmtheit der Begriffe nicht zu
opfern. – Der Tiefsinn ist gut, der Scharfsinn ist noch besser, nicht jener
macht den Philosophen – denn auch das religiöse Gemüth ist tiefsinnig –
sondern dieser. – Manchem,
was in der vorliegenden Darstellung vielleicht befremden wird, wird der Leser,
glaube ich, bei unbefangener, näherer Betrachtung im Allgemeinen wenigstens
seine Zustimmung nicht versagen können; die Unbefangenheit besteht aber auch
darin, den freien Blick des Geistes durch die Gegenwart sich nicht fesseln zu
lassen. Niemand wird im Ernste die Meinung hegen, daß der gegenwärtige Zustand
unserer Verhältnisse für die denkende Betrachtung völlig abschließend sei;
wir wären glücklich zu schäzen, wenn es so wäre, jeder fühlt aber, [XXIII] daß es nicht so ist. Was ich in dieser Hinsicht
Positives aufstellte, ging ganz allein daraus hervor, daß für mich nicht die
Gegenwart, sondern die Geschichte (die im Plan der Schöpfung schon bestimmt
vorgezeichnet ist) die Lehrerin der Wahrheit ist; und ich kann, abgesehen von
den Gründen, die für die Sache sprechen, mich nicht überzeugen, daß eine
Zeit, welche so sehr in den kleinlichsten Egoismus der Interessen hinabgezogen,
alles Große entbehrt, das die Massen zusammenhält und erhebt, welche, mit
einer sehr spärlichen Produktivität begabt, nur von der Vergangenheit zehrt,
die Erbin der Geschichte sein soll. Warum sollen wir nicht Hoffnungen einer größern
Zukunft fassen dürfen? Sind wir denn an die Scholle der Gegenwart gefesselt,
und einer solchen Gegenwart, die uns einengt, drückt und preßt von allen
Seiten? Was Werth hat eine solche Gegenwart für uns? Und aus welchen Händen
werden wir solche Hoffnungen vertrauensvoller empfangen dürfen als aus denen
der Wissenschaft? Freilich um eine Zukunft zur Gegenwart zu machen, dazu gehören
andere Dinge, als das aus der Welt in die Einsamkeit zurückgescheuchte Denken
eines Philosophen, dieser muß es sich gefallen lassen, daß man ihn einen Träumer
schelte, weil er nur berufen ist, zu denken, aber nicht zu handeln. Aber doch
ist auch das Denken des Philosophen eine geschichtliche Thatsache, die selbst
ein Glied in einer Reihe von Thatsachen bildet. Aeussere
Umstände und eignes Bedürfniß, meine Ansichten näher zu entwickeln, haben
mich bestimmt, früher, als sonst vielleicht geschehen wäre, meine Ansicht über
Philosophie dem Urtheile des Publikums vorzulegen, und ich hoffe keinen geringen
Gewinn für mich selbst daraus zu ziehen, daß ich dieselbe in dieser
unvollendeten Gestalt öffentlich darlege; die Philosophie wird für mich selbst
[XXIV]
Gegenstand unaufhörlichen Lernens und Forschens sein, ich verspreche mir
deßhalb von Beurtheilungen Solcher, die wahres, unabhängiges Interesse für
dergleichen Studien haben, nicht bloß für die Wahrheit, sondern für mich
selbst zum Behufe eignen, weitern Fortschreitens vielfache Förderung. Der
Mangel an Vollendung des Einzelnen schadet jedoch der Eigenthümlichkeit des
Ganzen nicht; diese ist in allen Theilen hinreichend und stark genug, und, wie
ich glaube, mit sicherer Consequenz ausgeprägt. Ich
werde mich von nun an der Bearbeitung der einzelnen philosophischen
Wissenschaften zuwenden, und es wird von den Umständen abhängen, welche ich wählen
werde; jedoch liegt mir zunächst daran, die Bearbeitung der rein
philosophischen Wissenschaften geben zu können, um das Meinige dazu
beizutragen, daß die Philosophie von dem Gezänke des Tages, bei welchem für
sie nichts Gutes zu holen ist, wieder mehr entfernt und um ihrer selbst willen
geliebt und studirt werde. Stuttgart
im August 1840.
Der Verfasser. © 2000 Dirk Fetzer